Der Nebel hält den Berg fest in einer unerbittlichen Umarmung, es ist auch tagsüber grau und duster, das Feuer flackert träge im Kamin, als wollte es sich jeden Moment niederlegen und einschlafen.
Es ist winterstill, der Nebel dämpft jedes Geräusch, und ich dämmere träge vor mich hin, gefangen in düsteren Brütereien über den Sinn und Unsinn unserer Projekte.
Ja.das Jahr war turbulent. Viele kleine Dinge sind in Bewegung geraten, das WWOOFING war toll,aber die große Frage bleibt:
Wie kann der Holderhof in Zukunft überleben? Ist das, was wir tun, noch weiter tragbar? Für uns, für die Kinder? Ist der Preis,den wir bezahlen, nicht zu hoch, nur um unseren Träumen nachzulaufen, wie Kinder, mit Schmetterlingsnetzen in der Hand, ungeachtet der Felsen und Abgründe, die sich jederzeit vor uns auf tun mögen?
Inmitten dieser trüben Stille ruft mich die Trommel. Widerwillig gebe ich nach, noch immer im Grübeln, ärgerlich über die Störung, den Unsichtbaren grollend, die uns offenbar gerne zappeln lassen wollen….oder sind sie gar nur Ausgeburten meiner Phantasie?? Wo bist Du, Holda? Warum sorgst Du nicht mal für die vielgerühmten Synchronizitäten und haust uns hier raus?
Das Pferd stampft ungeduldig mit den Hufen, jetzt komm schon. Ich reise also.
Und ich weiß, es ist die Alte, Schwarze, die mich ruft, geduldig, die verkrümmten Hände in den Schoß gelegt, und sie sieht mich an mit ihren uralten Augen und sagt: Geh raus Kind.Sei ruhig bitter und zornig und ungeduldig, aber geh raus in den Nebel und bau mir eine Hütte…
Und das tun wir dann auch, denn es ist immerhin besser, als sich gegenseitig in ratlosem Schweigen zu ertränken…wir gehen am frühen Nachmittag hinaus in die feuchte Kälte und bauen eine Hütte.
Die Stäbe der Schwitzhütte liegen seit gut 15 Monate in der Scheune- sie müssen erst unter allerlei Schichten von Stroh und Holz geborgen werden- und ihre Prognose ist schlecht. Sicher werden sie brechen, trocken und alt wie sie sind. Sei’s drum. Ich trage alle 16 hinauf in den Garten.
Und wo soll sie denn nun hin, die Hütte? So oft sind wir den Garten abgelaufen, alleine, mit Freunden, mit und ohne Zeichensucher, die Pferdeweiden, jeden Ort, der uns zur Verfügung steht, und keiner schien der richtige zu sein….heute gehe ich hinauf, zur Feuerstelle und dort sitzt sie, die Schwarze und lächelt ihr Altfrauenlächeln, zahnlos, verrückt. Sie deutet mit einem knochigen Zeigefinger auf einen unkrautbewachsenen Platz.
Aber das geht doch nicht, will ich ausrufen, aber sie sieht mich nur an…und ja, es stimmt tatsächlich…da ist ein geschützter kleiner Ort, geborgen zwischen der knorrigen alten Weide und der Tanne, kaum einsehbar, nah am Feuer.
Gut, ich habe auch keine Zeit für Diskussionen, ich hebe also ein Feuerloch aus, die Erde ist schwer und regengetränkt, in Windeseile sind meine Schuhe schwer wie Blei.Mein Sohn freut sich dagegen über die „tolle Pampe“, plumpst auch das ein oder andere mal hinein und ich grabe schimpfend vor mich hin.
Ich schätze die Größe des Kreises, bohre Löcher, stelle fest, daß ich keine Ahnung vom „richtigen“ Zeremoniell habe, und es wird bereits dunkler und dunkler. Ich bin immer noch ärgerlich, und ich denke mir, na ja, ich hab ja nicht mit diesem Brimborium angefangen, also liebe Spirits, ich tue, was ich kann, aber ich hab nicht die geringste Ahnung, wie das eigentlich geht. Beifuß schenkt sich her, ich beruhige mich…und es läuft gut.
Bald ragen die Stäbe wie seltsame Fahnenstangen in die Höhe, und dann der entscheidende Moment…lassen sie sich noch biegen, oder werden sie brechen? Neue Stäbe schneiden können wir heute auf gar keinen Fall mehr.
Und sie biegen sich wie junge Birken im Wind, obwohl ich ihr Ächzen und Stöhnen hören kann. Alles fügt sich zusammen, Stück um Stück, wir schneiden noch einige junge Weidenruten für die Ringe, sie werden genau passen, und unsere aus Stoff gerissenen Bändchen reichen exakt.
Es ist, als baute sich diese Hütte von selbst, in der Dämmerung diese lautlosen Tages, als seien wir lediglich Werkzeug, das von anderen, geschickteren Händen geführt wird.
Gegen abend steht die Hütte, geschmückt mit Tobacco Ties, vielleicht nicht in der üblichen Anzahl, und sie schaut auch nicht nach Westen, sondern irgendwo nach Süd- Süd-West, denn unser Kompass hat sich den ganzen Tag über standhaft geweigert, aus seinem Versteck hervor zu kommen.
Aber sie steht, und sie sieht so wunderbar kauzig und stark und eigensinnig aus, daß ich meine Zweifel über Bord werfe und wir beschließen: Decken drauf, Feuer an, schwitzen.
Wir plündern Haus und Scheune auf der Suche nach Decken, und decken unser eigenwilliges Gebilde schließlich mit einer kläglichen Handvoll „echter“ Wolldecken, Tischdecken, Bettlaken, Pferde- und Satteldecken und einer Zeltplane ein. Schön sieht das aus, und erinnert mich an die Hobbithäuser aus Tolkiens Herr der Ringe.
Es geht auf Mitternacht zu, als die Steine im Feuer zu glühen beginnen, ein wunderschönes, leuchtendes Feuer, ein bißchen prinzessinenhaft vielleicht, da es keine Minute ohne Betreuung duldet.
Ein seltsames Gefühl dann, alleine in dieser Hütte zu sitzen, während Markus das Feuer hütet,und für einen Moment überfällt mich der Zweifel: was um alles in der Welt tust Du hier, allein, im Matsch, in der Kälte,während eine kalte Brise durch unsere dünnen Decken bläst und mich erschaudern läßt.
Immer noch sind meine Gedanken düster, auch wenn ich zugleich staune über dieses wunderbare Geschenk einer Schwitzhütte, die sich so unerwartet selbst ins Leben gerufen hat…
Als schließlich alles Steine und auch Markus in der Hütte sind, wird es für einen Moment tatsächlich heiß, und ich begrüße die Hitze wie einen lange vermissten Freund und für einen kurzen Moment ist alles gut und ich bin warm und geborgen und der Nebel in mir schwindet.
Zugleich erhebt sich jedoch draußen der Wind, wird stärker, raschelt unter unsere Plane, und windet sich durch unsere dürftige Abdeckung. Wir beenden die Hütte, müde, erschöpft, durcheinander.
Draußen sitzt die Alte mit dem rabenschwarzem Lämmchen zu ihren Füßen auf dem Steinhaufen unter der alten Weide. Sie nickt mir zu, ihre nachtschwarzer Blick flackert amüsiert. Ja, sagt sie, jaja, so geht das manchmal zu im Leben…da kannst du jammern und meckern und zweifeln und die Götter verfluchen, aber was zählt ist am Ende das, was Du tust. Was leben will, bahnt sich seinen Weg. Was sterben wil, vergeht. Und sie schnippt lässig mit den Fingern und verweht mit den letzten Nebelschwaden.
Am nächsten Morgen ist der Nebel fort, wir sehen zum ersten Mal seit Tagen den Himmel.
Und Holdas wunderschöne Hütte im Tageslicht, still und alt und neu zugleich, wie eine Manifestation längst vergessener Träume.